Seit ich den W126 hatte, stand ich eigentlich ganz gern im Stau, zumindest wenn es der übliche Stop&Go Verkehr morgens auf der Hanauer Landstraße in Frankfurt war. Es gab ohnehin keine Alternative. Und nirgendwo anders läßt sich die Warterei besser ertragen als im mobilen Wohnzimmer der S-Klasse. Meine Freundin war diesmal auch dabei. Wir mußten an diesem Tag in etwa zur selben Zeit im Büro sein, also machten wir es uns gemeinsam bequem im großen Benz.
Hinter uns stand jemand mit nem alten 7er BMW (E23). Auch ein schönes Auto, keine Frage. Man wähnt sich mit solchen Leuten immer gleich schicksalhaft verbunden, umgeben von all den „Neuwagen”, denen gegenüber man sich mit seinem Klassiker stilistisch überlegen fühlt.
Als ich gedankenverloren nach links aus dem Fenster schaute, erregte eine Art "Zigarettendunst" meine Aufmerksamkeit. Der Wind trieb ihn links an meinem Wagen entlang nach vorne. Da hat irgendwer seine brennende Kippe aus dem Auto geworfen, dachte ich. Es war ja auch nur ein ganz kleines Rauchfähnchen.
Als es auch nach Minuten nicht verschwand, sondern an Volumen zunahm, schaute ich kopfschüttelnd in den Rückspiegel. „Da siehst Du, warum wir nen Mercedes haben.” sagte ich zu meiner Freundin. „So eine Gurke von BMW fängt irgendwann an zu qualmen und gibt den Geist auf”. Der Mann im Rückspiegel saß seelenruhig am Steuer. Ich fragte mich, wie der so ruhig bleiben kann, wenn sein Motor gerade mächtig Öl zieht und dabei die Hanauer Landstraße zunehmend in blaue Rauchschwaden hüllt.
Es ging wieder ein paar Meter voran. Stoßweise nahm der Qualm dabei noch zu, um beim Stillstand wieder etwas abzuflauen. Der BMW setzte sich aber jetzt erst in Bewegung und schloß auf. Was zum Teufel…
Ich schaltete die Automatik auf Leerlauf und gab ein wenig Gas. Tatsächlich hatte ich damit die Kontrolle über den Ausstoß des blauen Dunstes. Panik! Dabei waren Öldruck und Motortemperatur völlig normal. Keine Warnlampe, die brannte. Und er war doch auch erst in der Inspektion!
Was jetzt? Man konnte nicht einfach rechts ranfahren, angesichts der enormen Bordsteinhöhe an dieser Stelle. Trotzdem Motor ausschalten und damit den Stau verschimmern, sobald der Verkehr wieder fließt? Würde der Dicke dann überhaupt noch anspringen?Keine Frage: wenn man morgens auf der Hanauer einen Stau verursacht, dann muß man damit rechnen, daß selbst Schlipsträger zu brutalen Schlägern werden, soviel war mir klar.
Erst mußte also meine Freundin „evakuiert" werden, damit wenigstens sie im Zweifel rechtzeitig an die Arbeit käme. Gottseidank war die nächste Straßenbahn-Haltestelle nur wenige Meter entfernt. Sie weigerte sich zwar zuerst, mich meinem Schicksal zu überlassen, dann aber stieg sie aus und wünschte mir Glück. Das hatte ich auch prompt, denn nach 50 Metern und weiteren zähen Minuten im Stau ging es rechts ab auf das Gelände von „Hornbach”. Ich fuhr hastig die Rampe hoch zum leeren Parkdeck. Ich wollte allein sein mit meiner Scham. Eine S-Klasse darf einfach nicht qualmen, schon gar nicht öffentlich! Aber sie tat es eben doch, und das besonders gewaltig, als ich auf der Steigung Gas geben mußte. Es war wirklich schon eine mächtige, graublaue Wolke – und das nun erst recht wie auf dem Präsentierteller für die im Stau stehenden Berufspendler.
Ich nahm den erstbesten Parkplatz, machte den Motor aber nicht aus, sondern schaute mir das Spektakel nochmal kurz von außen an. Kam der Qualm wirklich nur aus dem Auspuff oder auch irgendwo aus dem Motorraum? Eindeutig ersteres.
Motor aus, Haube auf. Ich hoffte darauf, irgendein loses Kabel oder einen gegrillten Marder zu finden. Pseudo-fachmännisch rüttelte ich an allen Schläuchen und Leitungen, schaute tief in das Wirrwarr. Nichts zu sehen. Es war auch nicht ersichtlich, ob irgendwo Öl herausleckte. Verdammte Sch… aber auch! „Bitte lieber Gott, gib mir doch irgendeinen sichtbaren Fehler, damit ich nicht annehmen muß, daß der Motor selbst kaputt ist”, so dachte ich. Sogar unter den Wagen schaute ich, wälzte mich dabei enthemmt auf dem Boden herum. Nichts. Ich stand auf und wollte die Motorhaube schon wieder zu machen, da erblickte ich den vermeintlichen Fehler.
Ausgerechnet eines der größten Bauteile im Motorraum, das zudem ganz zuoberst angebracht ist und einem quasi direkt ins Auge springt, war entzweit und konnte wohl deshalb nicht mehr springen. Es handelte sich um eine der beiden Zuleitungen zum Luftfilter, die vom Kühlergrill vorne Luft ansaugt. Entlang der Riffelung war sie auseinander und das Rohr dadurch „unterbrochen”. Das dieser Umstand im Prinzip keinen EInfluß auf die Ansaugwirkung des Luftstroms hatte, reflektierte ich in meiner Aufregung nicht. Denn da der Wagen eben noch gequalmt hatte und hier ein deutlich sichtbarer „Schaden” zu sehen war, den es gestern noch nicht gab, mußte es kausal zusammenhängen.
Ich war regelrecht erleichtert. Der Fehler war gefunden, es handelte sich um ein gewöhnliches Plastikrohr, das gebrochen war, und ich stand auf dem Parkdeck eines Baumarkts, der just eben öffnete. Jetzt konnte ich mein ganzes handwerkliches Geschick unter Beweis stellen und holte das nötige Material.
Mit Sekundenkleber UND Gaffertape zugleich bewaffnet machte ich anschließend das Rohr an seiner Bruchkante dichter als es je war. Dabei entdeckte ich auch einen Lochfraß an der Unterseite des zweiten Rohres, den ich ebenfalls flickte. Ich ärgerte mich maßlos, daß so etwas nicht im Autohaus bei der Inspektion entdeckt worden war, freute mich dann aber umso mehr über meine Reparaturkünste.
Dennoch verlor ich in meinem Übermut nicht den Respekt vor der mir unbekannten Physik des Motors und ließ die Wunden erstmal heilen. Was, wenn die Dämpfe des noch trocknenden Klebers sich im Luftfilter entzündeten und eine atomare Kettenreaktion auslösten… oder so? Ich beschloß, den Wagen für den Tag hier stehen zu lassen und fuhr die restlichen zwei Kilometer mit der Bahn zur Arbeit. Ich und Bahnfahren… nach dem blauen Qualm im Stau rissen die morgendlichen Demütigungen nicht ab.
Mit meinen dreißig Jahren bin ich nämlich noch nie allein in Frankfurt Straßen- oder U-Bahn gefahren. Immer war jemand dabei, der sich um die lästigen Details kümmerte, wie bspw. den Fahrschein, die Linie und die Zielstation. Ich hingegen sah mich nun schon beim Fahrscheinlösen überfordert, da ich meinem Ziel schlichtweg keinen Tarif zuordnen konnte. Die ebenfalls Wartenden sprachen kein Deutsch. So zog ich letzten Endes genervt ein Ticket, mit dem ich wohl auch ohne Aufschlag nach Köln hätte fahren können.
Als ich in der Tram saß, erkannte ich auch schon, daß es die falsche Linie war. Die ungefähre Richtung stimmte zwar, aber ich mußte spätestens an der Eissporthalle umsteigen in die U-Bahn. Wir kamen an die Station, ich stand sehr frühzeitig auf, der Zug hielt und ich griff dorthin, wo zumindest beim letzten Mal Straßenbahnfahren noch der Türknopf war. Doch da war nichts! An keiner der Haltestangen vor der Tür ein Knopf zu sehen!! Eine ältere Frankfurterin bemerkte meine Not: „Jeds drigge se doch!!! Dooo! Drigge se!”, rief sie. „Ei wo dann?” schrie ich zurück. „Da! An de Tür! Des Knöbbscher!" brüllte die Frau um so lauter.
Da war es auch schon zu spät und die Bahn fuhr weiter. Ich begriff erst dann, was die bestürzte Dame meinte. Direkt an der Tür selbst war eine metallene Kontaktfläche – und kein „Knöbbscher” (Knöpfchen). Irgendwie war die Technikentwicklung in der Frankfurter Straßenbahn an mir vorbeigegangen. Die Frau schüttelte mitleidsvoll den Kopf. Sie mußte mich für einen ver(w)irrten Offenbacher gehalten haben. Gottseidank hielt die Bahn schon wenige hundert Meter weiter, und ich konnte aussteigen. In der U-Bahn dann suchte ich schon direkt nach dem Einsteigen nach dem „Knöbbscher” und ließ es bis zu meinem Ziel nicht mehr aus den Augen.
In der Firma erzählte ich beim Frühstück erschöpft von meinem Abenteuer. Ein ebenfalls auto-vernarrter Kollege (der aber im Gegensatz zu mir durchaus ein wenig Ahnung hat), war weitgehend ratlos, warum defekte Ansaugrohre diesen Ölqualm ausgelöst haben sollten, aber er erinnerte sich an etwas anderes in diesem Zusammenhang, das mich in Schaudern versetzte. Er wisse nicht, ob es blauer oder weißer Qualm gewesen sei, aber eines von beiden würde ziemlich sicher den nahenden Tod eines Motors ankündigen.
Ich klickte mich sofort ins Internet auf die Seiten des S-Klasse-Clubs und sah in der "Kaufberatung" nach, wo nach meiner Erinnerung etwas ähnliches zu lesen war. Erleichterung! Der anhaltende, weiße Rauch war der demnach der Fatale. Denn er ließ auf einen Riß und eingedrungenes Wasser im Motor schließen. Blauer Qualm indes, wie meiner ihn hatte, ist nur „gewöhnlicher Ölqualm”, der zumindest nicht unmittelbar den kapitalen Totalschaden des Wagens bedeuten muß.
Ich machte an diesem Tag sehr früh Feierabend und war gegen 18 Uhr schon wieder auf dem Parkdeck. Ich hatte an der Tanke gegenüber sogar noch schnell Öl gekauft, denn der Durst des 126ers nach dem 10W40 dürfte ja wieder groß sein, nachdem er die Hälfte davon aus dem Auspuff gejagt hatte. Der Wagen stand noch so da, wie ich ihn verlassen hatte, was mich schonmal beruhigte. Auch kein Ölfleck drunter. Ich kontrollierte nochmals mein Reparaturwerk und dann den Ölstand. Zu meinem Erstaunen war der ungefähr so wie immer: genau in der Mitte zwischen "min" und "max". Ich schüttete trotzdem nach bis knapp unter "max", und wagte es schließlich, den Wagen anzulassen. Er sprang sofort und ganz ohne Qualm an. Ich traute dem Braten nicht und ließ ihn noch ein wenig im Leerlauf stehen, während ich meiner Freundin telefonisch Bericht erstattete. Dann ging die Reise zurück nach Hanau. Keine besonderen Vorkomnisse, trotz kurzem Stau rauswärts. Er lief als sei nichts gewesen. Ich konnte es kaum fassen, ich hatte den Wagen selbst repariert!
Dennoch schilderte ich das Problem auch im Diskussionsforum des Clubs. Dort konnte ebenfalls keiner einen Zusammenhang sehen zwischen Luftkanal und Ölqualm. Ich erhielt aber den Tipp, auf den Ölverbrauch zu achten. Wann immer es blau qualmt, zumindest aber der Ölverbrauch hoch ist, komme als wahrscheinlichste Ursache die Ventilschaft-Dichtungen in Frage. Die müßten ggf. getauscht werden, was eine größere Reparatur bedeuten würde. Ich war zwar nicht knausrig, noch nahm ich die Sache auf die leichte Schulter, aber ich hatte schlichtweg keine Zeit, diese Reparatur in den nächsten Tagen zu veranlassen. Ohnehin war erstmal die Werkstatt in der Pflicht, bei der der Wagen gerade erst zum Wartungsdienst war. Also wurde ich am darauffolgenden Abend erstmal dort vorstellig.
Das Autohaus in Hanau hatte eigentlich bis 19 Uhr geöffnet, aber als ich punkt 18:30 Uhr dort aufkreuzte, war fast alles ausgeflogen. Klar, es war Fußball-WM und wer irgend konnte, setzte sich daheim lieber vor den Fernseher als im Autohaus hinter den Schreibtisch. Die Empfangsdame bemühte sich, mir doch noch einen kompetenten Mann raus ans Auto zu schicken. Nach 10 Minuten erschien der letzte Überlebende des nahenden Feierabends auch, sichtlich „schon auf dem Sprung” befindlich. „Aja-dawollmermah!”
Motorhaube auf, Problem geschildert, „Reparatur” gezeigt, auf gerade zurückliegende Inspektion verwiesen. „Damüssemermagugge! So aus der Hüfte raus kann ich Ihnen da nix sagen. An den Luftschläuchen kann's jedenfalls nicht gelegen haben. Bei der Inspektion war das ja noch alles.”
Daß man nie wiessen kann, wann so ein Schlauch (eigentlich ist's ja ein Rohr) an der Riffelung bricht, sah ich noch ein. Aber den Lochfraß unter dem zweiten Schlauch gab es mit Sicherheit schon länger. „Das mag sein, da sprech' ich auch nochemah mit dem Kollegen. Aber hat middem Qualme nix zu tun! Da machemer besser mal en Termin.”
Ich hielt mich bedeckt. Ich traute der Werkstatt eigentlich nichts mehr zu, zumindest kein Engagement in Sachen W126er. Ich bat lediglich darum, mir vorserst die beiden Luftschläuche zu bestellen und mich bei Erhalt anzurufen. Der Anruf kam nie, und mir war das dann auch recht. Ich würde eh bald in eine andere Werkstatt gehen, spätestens bevor es im August mit dem 560er nach Südfrankreich gehen sollte. Bis dahin sollte auf jeden Fall nochmal draufgeschaut werden, aber von fachkundiger Seite!
Nach all der Aufregung nun also doch keine Reparatur? Außer meiner virtuösen Instandsetzung der Luftschläuche, versteht sich…
Ich gestehe, ich wurde immer gelassener, je öfter ich im Clubforum von ähnlichen Fällen erfuhr. Es war relativ sicher, daß es die Ventilschaftdichtungen sind, die nunmal undicht werden mit der Zeit und Öl in den Vebrennungsraum lassen. Ich gab mich damit zufrieden, seitdem akribisch auf den Ölverbrauch und natürlich auf die Abgase zu achten. Nur auf Verdacht reparieren lassen wollte ich nicht, sondern erstmal diese Indikatoren beobachten.
 
Der Ölstand blieb scheinbar stabil, was aber angesichts der wenigen Kilometer, die ich fuhr, nicht weiter verwunderlich war. An die 2 Liter hätten es sein müssen bei etwa 3000km Laufleistung, um halbwegs sicher von defekten VSD sprechen zu können. Ich war aber gerademal 500km gefahren, als der zweite Indikator, nämlich der blaue Qualm, sich wieder einstellte. Es war wieder der Stop&Go-Verkehr (länger als 10 Minuten Stehen und Aufrücken bei niedriger Drehzahl und tropischen Temperaturen draußen). Ich nahm die nächste Seitenstraße und stellte den Wagen ab. Es folgte das übliche Ritual: erotisches Wälzen auf dem Boden, fachkundiger Blick in den Motorraum und am Ende wieder die Resignation, weil nichts zu sehen war. Ich beschloß kurzerhand, einfach weiterzufahren. Und siehe da: nach gerademal 2-3 Minuten Stand war nach dem erneuten Anlassen keine Spur mehr vom Qualm! Das blieb auch so bis zur letztendlich Ende September erst durchgeführten Erneuerung der Ventilschaftdichtungen. Ob es das war, bleibt immer noch fraglich.
Bis zur Einmottung des Wagens Ende Oktober gab es keine besonderen Vorkommnisse mehr, bis auf eine Begebenheit kurz vor Saisonende: Auto morgens angelassen, der Motor läuft an und schüttelt sich dabei (kleines Rodeo für etwa 5-10 Sekunden). Zeitgleich ist die verhaßte blaue Wolke im Rückspiegel zu sehen. Dann war alles wieder normal.
Für dieses Phänomen gab ein Clubkollege im Forum mir prompt eine überzeugende Erklärung, und die hat vermutlich auch nichts mit dem bisherigen Rauchverhalten zu tun. In wenigen Worten: dies könne sehr gut an verschlissenen Einspritzventilen liegen. Wörtlich: „Durch Ermüdung des Federmechanismus tropft Benzin in die Brennräume nach. Beim Start verbrennt dieser See plötzlich und eine dunkle Wolke verläßt den Auspuff. Bei kurzfristigen Neustart des Motors tritt das Phänomen nicht auf, da nicht so viel Benzin nachtropfen konnte.”
Das klingt plausibel, und die Materialkosten für die Reparatur sollen nach Auskunft des Schreibers, der sie offenbar selbst durchgeführt hatte, bei etwa 430€ liegen. Wieder etwas für meine To-Do-Liste. Sehr viele weitere Ursachen für öligen Qualm bleiben dann hoffentlich nicht mehr.